Ulrike Westphal über die Fotografien von Elmar Haardt:
“Die Motive wurden weder systematisch gesucht, noch unterliegen sie bestimmten städtebaulichen Erfassungskriterien. Statt bekannter Örtlichkeiten oder touristischer Attraktionen zeigen die Fotografien – bei gleichbleibend zeitlosem Himmel und fast ausnahmsloser Absenz menschlicher Figuren – urbane Situationen, die von standardisierten Architekturen geprägt sind. Die Ansichten erscheinen einerseits vertraut, andererseits wirken sie befremdlich. Die Stadt ist hier kaum wiederzuerkennen.
Elmar Haardts Fotografien unspektakulärer, geradezu ergreifend banaler Straßenzüge und Häuser provozieren eine unerwartete Begegnung mit jener urbanen Umgebung, die im Alltag von der bewussten Wahrnehmung oftmals ausgeblendet wird. Die Gleichzeitigkeit von Enge und Weite sorgt dabei für ein latentes, aber stetiges Spannungsverhältnis: der Mangel an Platz und Freiräumen zwischen den Häuserwänden ist förmlich spürbar, zugleich bleibt der Blick in die Ferne möglich.
Elmar Haardt setzt sich innerhalb dieser Serie nicht nur mit den Beziehungen zwischen der Wirklichkeit und deren fotografischer Repräsentation auseinander, seine Stadtbilder sind gleichzeitig präzise beobachtete Daseins- und Zustandsbeschreibungen. Denn die fotografischen Wirklichkeitsausschnitte sind – nicht nur bedingt durch die technische Voraussetzung ihrer Aufzeichnung – als Teil eines größeren Komplexes zu verstehen. Der urbane Raum ist ein sozial geprägter, definierter Raum, d.h. immer ein Produkt der Gesellschaft. Wenn Haardt einzelne urbane Sequenzen festhält, die vorrangig architektonische Umgebungen beschreiben, stellt er vor allem Fragen nach den an Architektur ablesbaren gesellschaftlichen Verhältnissen. Er formuliert hier keine direkte Architekturkritik, sondern fragt vielmehr nach dem, was Architektur als visuell geprägte Form einer Lebenswelt zu repräsentieren vermag. Seine Fotografien filtern die Eigentümlichkeit städtischer Lebenswelten heraus und legen jene öffentlichen Organisationsprinzipien offen, die zur Beschaffenheit des jeweiligen Ortes beigetragen haben. Bei diesem Herausarbeiten einer urbanen Grammatik mittels des fotografischen Bildes ist der Fotograf selbst mehr distanzierter Beobachter denn Deuter. Die Bewertung der abgebildeten Situation liegt beim Betrachter, was jedoch eine kritische Dimension der Arbeit nicht ausschließt. Statt eines erhobenen Fingerzeigs auf mögliche Missstände oder Auswüchse konservativ geplanten Wohnens offenbaren die Fotografien vielmehr einen verwunderten Blick auf das gesellschaftliche Arrangement mit der Durchschnittlichkeit, die in der Unwirtlichkeit rein funktionaler Architektur ihren Widerhall findet.
Im Zentrum der künstlerischen Auseinandersetzung steht also der Stillstand: der konzentrierte Blick auf das sichtbare, jedoch oftmals ausgeblendete Resultat festgesetzter Strukturen. Auch Elmar Haardts vorangegangene Serien (aufgenommen in der italienischen Po-Ebene, in der Schweizer Region des Gotthard-Straßentunnels und im nördlichen Stadtgebiet von Essen im Ruhrgebiet) zeigen Orte mit eigenen lokalen Charakteristika, denen im Bild jedoch ein gewisses Gefühl der Ortlosigkeit anhaftet. Gerade in den gezeigten, motivisch eher unspektakulären Situationen und deren alltäglicher Selbstverständlichkeit offenbart sich das Ungewöhnliche, wenn nicht gar Groteske menschlicher Lebensumgebungen.”
Eine Austellung der Bilder von Elmar Haardt ist vom 14. Januar – 25. Februar 2012 bei Jarmuschek und Partner in Berlin zu sehen. Eröffnung 13. Januar 2012, 18:00 – 21:00 Uhr
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